Lernstrategien und Lernpraktiken hängen stark miteinander zusammen und können in Lehr-Lernprozessen berücksichtigt werden. Ähnlich wie Kompetenz lässt sich Lernen nicht beobachten, man kann nur indirekt durch das Beobachten von Indizien darauf schließen. Alles, was die Lernenden tun, kann zum Lernen dazu gehören. Ob jemand etwas gelernt hat oder nicht muss also durch anderweitige Möglichkeiten erschlossen werden. Je nach Studie und Autor*innen unterscheiden sich die Begrifflichkeiten: einerseits wird von „surface apporach” (approaches to learning) und Oberflächenverarbeitungsstrategie (kognitive Lernstrategien) geschrieben, auf der anderen Seite steht der sog. „deep approach” bzw. eine Tiefenverarbeitungsstrategie. Die meisten Ansätze unterscheiden zwischen den eher oberflächlichen und eher tiefen / vernetzenden Verarbeitung von Informationen bzw. zu Lernendem. Daher genügt es für eine erste Übersicht zwischen Oberflächen- und Tiefenverarbeitungsstrategien zu unterscheiden. Zu Oberflächenstrategien gehören bspw. Auswendiglernen oder Repetition. Zu den Tiefenverarbeitungsstrategien gehören eher die Vernetzung von Wissen bspw. in eigenständigem Organisieren von Inhalten oder der Kontextualisierung von Lerngegenständen. Hinzu kommt außerdem noch die metakognitive Strategie, welche festlegt, welche Lernpraktiken und Ressourcen eingesetzt werden. Auch die emotionale Selbststeuerung der Lernenden spielt eine Rolle, beispielsweise, wie leicht es ihnen fällt, sich zum Lernen zu überwinden oder dabei konzentriert am Ball zu bleiben.
Die Digitalisierung von Lehr-Lernprozessen spielt seit längerem in jeglichen Bereichen eine Rolle. Klar ist, dass das Lernen an sich nicht digital ist, sondern kognitiv und immer individuell. Lernaktivitäten können aber mit und durch digitale Medien stattfinden und bedingen daher spezifische, auf den digitalen Raum angepasste Lernpraktiken, die die Lernenden einsetzen. Möglicherweise bleiben die Lernstrategien der Einzelnen dadurch unangetastet. Hierzu gibt es derzeit keine fundierten Erkenntnisse, offenkundig ist aber die Änderung der Medien. Die Bandbreite ist dabei sehr groß: Angefangen bei der simplen Bereitstellung von bisher als Printversion angebotenen Lehrmaterialien als PDF-Dokument bis hin zu virtuellen Klassenzimmern, flipped Classrooms, Podcasts, Study Guides etc.. All diese Unterschiedlichen Darbietungsformen erfordern unterschiedliche Arbeitsweisen mit diesen Angeboten, in Form von neuen Lernpraktiken.
Hier spielen viele Faktoren der didaktischen Schulen und Planungen mit hinein, wie Erfahrungen im Umgang mit digitalen Medien, Persönlichkeitseigenschaften, lernbiographische Erfahrungen etc. Wie beim Lernen außerhalb des digitalen Raums ist jedoch ein zentraler Aspekt die Verteilung der Selbst- und Fremdsteuerung des Lernprozesses: So lassen sich die Anforderungen an die Lernenden auf diesem Kontinuum anpassen und im Bezug auf das Wissen über die eigenen Lernstrategien, die aus den individuellen Lernpraktiken bestehen, und an die Fähigkeit, sich selbst zu steuern und zu kontrollieren. Je besser die Lernenden ihre eigenen Strategien kennen und über die Metakognitiven Lernstrategien den Einsatz von Ressourcen und Lernpraktiken steuern können, um so eher können Sie selbstgesteuert lernen – und umgekehrt. Dies kann also zielgruppenabhängig oder sogar individuell durch die Lehrenden beeinflusst werden. Gerade im digitalen Raum kann es erweiterte Möglichkeiten geben, im Rahmen von formaler Lehre gleiche Leistungen mit unterschiedlichen Formaten zu erzielen, um bestimmte Lernstrategien und -praktiken zu unterstützen. Insbesondere, da dies ein Aspekt ist, der weiterhin vom sozioökonomischen Status (Digital Divide) abhängig ist, sind hier sinnvolle Binnendifferenzierungen durch die Flexibilität der digitalen Medien möglich.
Grundlegende Literatur:
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